Manchmal stoßen wir beim Schreiben auf Gedanken oder Erinnerungen, die unseren kreativen Fluss erst einmal unterbrechen – vor allem, wenn wir uns mit autobiografischen Themen beschäftigen. Wir zweifeln plötzlich an dem, was wir schreiben, stellen uns Fragen, wie es von bestimmten Menschen aufgenommen werden könnte. Oder wir lassen uns von unserem inneren Kritiker davon abhalten, das zu vertiefen, aufzuschreiben oder gar zu veröffentlichen, was uns am Herzen liegt.

Diese inneren Blockaden können verschiedene Gründe haben:

  • Es sind sehr persönliche, intime Dinge, über die wir erzählen.
  • Es betrifft andere Menschen – und wir befürchten, ungewollte oder unliebsame Reaktionen in ihnen hervorzurufen.
  • Wir wollen uns die Freiheit bewahren, bestimmte Aspekte unserer Geschichte lieber zu verfremden, zu ergänzen oder zu verändern.

Wir fühlen uns möglicherweise hinsichtlich einer späteren Veröffentlichung unsicher:

  • Was passiert, wenn Person XY meine Geschichte liest?
  • Darf ich das überhaupt so schreiben, wie ich es gerade schreibe?
  • Was ist, wenn ich die Privatsphäre bestimmter Personen schützen möchte oder muss?
  • Oder meine eigene?

Es kann auch sein, dass wir unseren Text zunächst ganz „aus dem Herzen“ geschrieben und zu ihm bereits eine sehr persönliche, innige Verbindung aufgebaut haben. Wenn nun in Richtung „Öffentlichkeit“ gedacht werden soll,  können wir uns entsprechende Änderungen, etwa zugunsten einer „funktionaleren“ Struktur oder einer an einer klareren Dramaturgie ausgerichteten Version, nicht vorstellen.

Das Resultat ist in allen beschriebenen Fällen dasselbe: Wir setzen in uns selbst die „Schere in unserem Kopf“ an. Wir geben unserem inneren Kritiker oder dem Bewahrer unserer ursprünglichen Idee so viel Raum, dass wir mit dem Schreiben stagnieren oder notwendige Anpassungen nicht vornehmen mögen.

Ein einfacher Gedanke kann dir helfen, dich aus diesem Dilemma zu befreien und wieder in deinen Schreibfluss zurückzukehren: Du schreibst nicht eins, sondern zwei Bücher.

Die erste Variante schreibst du nur für dich.

Sie dient dir dazu, alles frei herauszuschreiben, was dir wichtig ist, was einmal gesagt werden „muss“ oder was dich tief in dir bewegt – ohne etwas zurückzuhalten, ohne dem Gedanken an mögliche künftige Leser zu gestatten, dich in deinem Schreibfluss zu begrenzen. Du kannst jede Form nehmen, die dir stimmig erscheint oder die sich aus deinem freien Schreiben heraus entwickelt.

Durch dieses „erste Buch“ kannst du dich erforschen, dich in alle Bereiche hineinwagen, die dich berühren oder herausfordern. Du gibst deinem inneren Prozess seinen vollständigen Raum , um dich selbst noch besser kennenzulernen, um bestimmte Erinnerungen in Ruhe zu betrachten und dabei neue Erkenntnisse und Einsichten zu gewinnen. Du kannst das, was dir beim Schreiben am Herzen liegt, erhalten und brauchst dir keine Gedanken darüber zu machen, welche Passagen gestrichen oder so verändert werden müssen, damit dein Buch bestimmten (dramaturgischen oder strukturellen) Kriterien entspricht.

In diesem geschützten Rahmen be- und erschreibst du dir alles, was dir selbst für Vergebung, Loslassen und Heilung hilfreich erscheint. Du „darfst“ sogar wütend sein, altem Schmerz Ausdruck verleihen und Bedürfnisse, Sehnsüchte oder Ängste klar benennen, die gesehen und anerkannt werden wollen. Diese „erste“ Variante dient der Verarbeitung, des Verstehens und Erkennens, des Entdeckens neuer Perspektiven und Blickwinkel. Sie ist nur für dich gedacht.

Erschaffe dir einen geschützten Raum.

Besonders, wenn diese innere Prozessen und Gedanken im Mittelpunkt deines Schreibens stehen, kann es wichtig sein, dass du selbst für einen geschützten Raum sorgst, der dir die Sicherheit gibt, dass nur du – und niemand sonst – dein Geschriebenes zu Gesicht bekommst. Oft ist dies die Voraussetzung, dass der Schreibfluss wieder an Fahrt aufnimmt.

Diese „geschützte“ Variante ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt – mit „Öffentlichkeit“ ist in diesem Rahmen gemeint, dass bereits eine andere Person außer dir deinen Text zu lesen bekäme. Sie hat ihre ganz eigene Richtigkeit, Gültigkeit und einen besonderen Wert für dich, den es zu schätzen und zu würdigen gilt.

Überprüfe, ob alles für dich so eingerichtet ist, dass du ohne Einschränkung deinem Schreiben freien Lauf lassen kannst. Es kann dabei hilfreich sein, einen abschließbaren Schrank zu haben, in dem du dein Geschriebenes sicher verwahren kannst, oder dass du mit jenen Menschen, die um dich herum sind, verabredest, deinen geschützten Raum zu respektieren und wertzuschätzen.

Im Extremfall kannst es möglicherweise sogar notwendig sein, dass du dein Geschriebenes anschließend vernichtest – wissend, dass es eine wichtige Funktion für dich bereits durch das Niederschreiben erfüllt hat.

Das Spannende ist: Wenn du in der „ersten“ Version, die nur für dich bestimmt ist, alles frei herausschreibst, „erledigen“ sich oft von alleine ganz bestimmte Fragen oder Zweifel, die dann kein Teil in der „öffentlichen“ Version mehr zu sein brauchen. Es ging nur darum, bestimmte Dinge überhaupt einmal aufschreiben und damit „aussprechen“ zu können. Du hast ihnen damit bereits Raum gegeben und konntest deine eigene Wahrheit ausdrücken . Sie fallen – gemeinsam mit den verbundenen Fragen – von alleine weg und halten dich nicht länger davon ab, dein Buch zu schreiben.

Der Weg vom ersten zum zweiten Buch:

Aus dieser „ersten“ Variante kannst du dann dein Buch, das für eine größere Öffentlichkeit bestimmt ist, ableiten. Du kannst in einem weiteren Arbeitsschritt bestimmen, was geteilt und gelesen werden darf – womit du dich sicher fühlst, wenn es veröffentlicht wird.

Frage dich:

  • Was übernimmst du aus dem „ersten“ Buch in das hinein, was mit anderen geteilt werden soll?
  • Welche Stellen, Erinnerungen und Themen sind auch in dieser „zweiten“ Variante so wichtig für dich, dass sie unbedingt in das veröffentlichte Buch Eingang finden sollen?
  • Was für eine (neue) Struktur soll dein zweites Buch bekommen?
  • Welche Teile des Ausgangsmaterials magst zugunsten einer neuen Dramaturgie verändern?
  • Welche Inhalte, welche autobiografischen Sequenzen haben eine wichtige Funktion für dein „zweites“, dein öffentliches Buch – um Gesagtes zu illustrieren, deinem Text Farbe, Atmosphäre und Authentizität zu geben?
  • Was kannst du teilen, so dass du „trotzdem“ am Ende voller Vertrauen und einem guten Gefühl deinen Text oder dein Buch in die Welt geben magst?

Lösung und Inspiration als Ziel!

Vor allem bei Büchern, bei denen die autobiografischen Anteile im Rahmen eines Ratgebers oder Impulsbuches verwendet werden, liegt der Fokus auf einer anderen Ebene als das erste, private, geschützte: auf Lösung und Inspiration, auf Ermutigung und auf deinem Wunsch, wertvolle Erfahrungen mit anderen Menschen zu teilen. Die schwierigen Aspekte deiner Geschichte ziehst du dann zum besseren Verständnis und zur Schilderung der Hintergründe heran. So kannst du auch entscheiden, welche du brauchst oder bewusst auswählst, die dem Zweck deines Buches dienlich sind oder eine bestimmte Funktion erfüllen.

Denk daran: Deine Leser*innen wollen, wenn sie zu deinem Buch greifen, vor allem wissen, welche Wege du gefunden hast, welche Lösungen oder ermutigenden, Richtung gebenden  Impulse du anbietest. Die Schilderung deiner Herausforderungen und Hürden, die du in deinem Leben bewältigt oder überwunden hast, sind als Hintergrund und Basis von Identifikation und Vertrauen eine wichtige Grundlage. Wenn du beide Ebenen einziehst, wird dein Buch – und so wirst du! – zu einer Quelle von Inspiration, Orientierung und Bestärkung.

Stefan Reinmuth

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